Der kleine Klassiker
Hildburghausen und New York...
Hildburghausen, Amsterdam und Philadelphia...
Hildburghausen, Paris und London...
Ist die südthüringische Kreisstadt an der oberen Werra etwa heimlich in die Creme der Weltstädte aufgestiegen? Ist die Sprachspielerei mit Städtenamen das Werk eines Spaßvogels? Oder einfach Größenwahnsinn? Aber irgendwo hat man das doch schon einmal gelesen, wo nur?
Des Rätsels Lösung: Das Impressum von Millionen Büchern, die im 19. Jahrhundert im Bibliographischen Institut Hildburghausen (1828 bis 1874) erschienen, nennt neben dem Verlagsort Hildburghausen die oben genannten Weltstädte, in denen sich seinerzeit jeweils Niederlassungen des Verlags befanden. Die kleine Stadt Hildburghausen war im 19. Jahrhundert einer der berühmtesten Verlagsorte Deutschlands, ja sogar Europas. Dies war einem jungen, äußerst dynamischen Verleger aus Gotha zu danken.
Joseph Meyer gründete 1826 den Verlag Bibliographisches Institut in seiner Vaterstadt und zog damit zwei Jahre später nach Hildburghausen um, wo das Unternehmen sehr schnell expandierte. Die Stadt an der Werra war in jener Zeit bekannt für ihr freisinniges und kultiviertes geistiges Klima.
Im vorausgegangenen 18. Jahrhundert (genauer gesagt von 1680 bis 1826) war Hildburghausen in zunehmendem Maße durch seinen Status als Residenz der Herzöge von Sachsen- Hildburghausen geprägt worden. Das Fürstentum (ab 1806 Herzogtum) Sachsen-Hildburghausen war ein Musterbeispiel für die deutsche Kleinstaaterei.
Das Schloss, das von 1685 bis 1695 unter Herzog Ernst erbaut wurde, sollte zusammen mit der kunstvollen Schlossparkanlage , die nach 1700 entstand, ein zweites Versailles werden. Was machte es schon, dass Schloss und Park etliche Nummern kleiner waren, das Schloß auch nie ganz fertig wurde (1945 zerstört), u.a. die riesige Mitgift der ersten Herzogin für die Anlage des Parks samt eines künstlichen Kanals verschleudert wurde?
Seit dem Jahre 1711 ließen sich hugenottische Flüchtlinge in der Neustadt (heute Schleusinger Straße) nieder, die die feine französische Lebensart nach Hildburghausen brachten. Neben den bodenständigen Gewerben (z. B. die Tuchmacherei seit 1395) blühte nun die Produktion von Luxusartikeln: Handschuh- und Perückenmacherei, die Hersteller von feinen Konditoreiwaren lieferten ihre Waren bis nach Paris. Das herzogliche Ball- und Fechthaus wurde um 1755 in ein Hoftheater verwandelt, und viele berühmte Schauspielertruppen gastierten hier.
Darunter war auch Franz Anton Weber, der seinen zehnjährigen, vielversprechenden Stiefsohn Carl Maria vom Hofmusikus Heuschkel im Klavierspiel unterrichten ließ - der spätere "Freischütz"-Komponist Carl Maria von Weber ging also in Hildburghausen zur Schule, mauste Kirschen auf dem Markt und verspeiste gemeinsam mit seinen Mitschülern Maikäfer, wie es sein Schulkamerad Radefeld im Tagebuch festhielt.
Das kleine Hildburghausen, die kleine Residenz eines winzigen Herzogtums, scheint die großen Geister jener Zeit in liebenswürdige Menschlichkeit verstrickt zu haben: Der große Goethe wurde 1782 vom schwergewichtigen, stockhässlichen, cholerischen, aber überaus gewitzten Hildburghäuser Prinzen und Vormundschaftsregenten Joseph zur Audienz empfangen - die Audienz hielt Hoheit von seinem Bett aus ab!
Der Schriftsteller Jean Paul verweilte hier im Jahre 1799 und beschrieb seinen Aufenthalt mit enthusiastischen Worten. Er war ein großer Verehrer der schönen, geistvollen, hochgebildeten und hochtalentierten Herzogin Charlotte von Sachsen-Hildburghausen, der Gemahlin des damals regierenden Herzogs Friedrich.
Herzogin Charlotte war eine Schwester der Königin Luise von Preußen, eine der eindrucksvollsten Frauengestalten der deutschen Geschichte. Königin Luise und ihre Schwestern Friederike von Solms und Therese von Thurn und Taxis trafen sich bei ihrer Schwester Charlotte in Hildburghausen und der Dichter Jean Paul war von dem Schwesternkleeblatt so begeistert, dass er seinen größten Roman "Titan" den "vier schönen und edlen Schwestern auf dem Thron" widmete.
Jean Paul, der mit den Fürstlichkeiten in seinen Werken wahrhaftig nicht zimperlich umging, sagte von der Hildburghäuser Herzogin: "Ihr Kopf ist für mich so schön, daß ich immer vergesse, daß ein Fürstenhut darauf sitzt".
Der junge Dichter Friedrich Rückert hielt sich ebenfalls gerne in Hildburghausen auf, mehrere seiner Gedichte beziehen sich auf die Stadt bzw. Geschehnisse in ihr. Sein wunderschönes Gedicht "Mit drei Moosrosen" bezieht sich auf die Hochzeit einer Hildburghäuser Prinzessin, leider wissen wir nicht genau, welche der herzoglichen Töchter die Braut war.
War es die schöne Prinzessin Therese, deren Hochzeit mit dem bayerischen Kronprinzen Ludwig, dem nachmaligen König Ludwig I. von Bayern, im Jahre 1810 die Hildburghäuser heute noch mit traditionsgeschwellter Brust verkünden lässt: "Ohne Hildburghausen gäbe es kein Oktoberfest in München.
Das Hochzeitsfest seinerzeit wurde von einem großen Volksfest begleitet mit einem Pferderennen, einer landwirtschaftlichen Ausstellung und zahllosen leiblichen Genüssen, die Festwiese vor dem Sendlinger Tor durfte fortan den Namen der königlichen Braut tragen, nämlich "Theresienwiese", und die Erinnerungen an die königliche Hochzeit waren so nachhaltig, dass die Münchner Lust bekamen, das Fest alle Jahre zu wiederholen.
Alle Welt feiert inzwischen mit. In Hildburghausen wurde in Abwesenheit der Braut in jenen Oktobertagen des Jahres 1810 auch ein bisschen gefeiert und die Erinnerungen an die hildburghäusisch-herzogliche und bayerisch-königliche Hochzeit wurde in den letzten Jahrzehnten zumindest vom Stadtmuseum hochgehalten.
Bereits im zeitigen Frühjahr 1991 entstand die Idee, in der Kreisstadt an der Werra ein kleinstädtisches Oktoberfest in einem den Verhältnissen angemessenen Maßstab zu feiern.
Der Oktoberanfang des Jahres 1991 war ein würdiger Anlass für das erste Theresienfest - das Fest des ersten Jahrestages der deutschen Einheit wurde verbunden mit der Erinnerung an die bayerisch-hildburghäusische Vermählung, die symbolhaft nun auch für die neuerlichen bayerischen und thüringischen Begegnungen und Verbindungen in Erscheinung trat.
Außerdem gibt es hier im Frühherbst noch zwei andere Anlässe, ein fröhliches Fest zu feiern: Am 29.9. fand in alten Zeiten der traditionsreiche Michaelismarkt statt, der ebenfalls 1995 wieder aus seiner Vergessenheit auferstand, und schließlich wurde am 2. Oktober des Jahres 1632 während des Dreißigjährigen Krieges Hildburghausen durch einen glücklichen Zufall vor brandschatzenden Truppen gerettet, die die Stadt der völligen Zerstörung anheim geben wollten.
Die Buchstadt Hildburghausen nahm im 19. Jahrhundert mit dem gigantischen verlegerischen Werk von Joseph Meyer ihren Ausgang. Eines der "Highlights" in der Ausstellung des Stadtmuseums ist der Raum, der dem Verleger Carl Joseph Meyer gewidmet ist.
Hier stehen sie: die kleinen Klassiker in Form der Miniatur- und Groschenbibliothek, die ersten deutschen Klassikerausgaben im Taschenbuchformat und das große klassische Lexikon, Meyers Konversationslexikon, dessen erste 52-bändige Ausgabe ob seiner schier unglaublichen Wissensfülle auch als "Wunder-Meyer" bezeichnet wurde.
Daneben das klassische Werk über Tiere - "Brehms Tierleben", unter Meyers Sohn Herrmann ebenfalls noch in Hildburghausen erschienen. Tradition an Tradition reiht sich in Hildburghausen aneinander, wie Perlen an einer Schnur: Großartiges und Weltläufiges wie Meyers gewaltige verlegerische Leistung, Sehenswertes, wie der schöne Altstadtkern mit Renaissancerathaus und Barockbauten, regional Bedeutsames, wie Hildburghausens Ruf als "Stadt der Schulen", den der Pestalozzischüler Ludwig Nonne begründete, Geheimnisvolles, wie die "Dunkelgräfin" und schließlich eine hübsche junge Prinzessin als Symbolfigur für ein großes Volksfest - eine Stadt mit Geschichte und Geschichten!
Margarete Braungart (gest. 10.11.1998)
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